Ein Kondensator mit parallelen Platten hat anfangs die Gesamtladung \(Q_0\). Mit dem Kondensator verbunden sind ein Ohmscher Widerstand \(R\) und ein anfangs geöffneter Schalter. Die Potenzialdifferenz zwischen den Platten des Kondensators beträgt dann \(U_0 = Q_0 / C\), wobei \(C\) die Kapazität des Kondensators ist. Zum Zeitpunkt \(t_0 = 0\) wird der Schalter geschlossen. Damit liegt am Ohmschen Widerstand eine Potenzialdifferenz an, es muss also ein Strom durch ihn fließen.
Aufgabe a: Erarbeite die allgemeinen Gleichungen für den Anfangsstrom und die zeitabhängige Ladung während des Entladens. Wie kann letztere Gleichung gelöst werden?
RC-Kreis
Das 2. Kirchhoffsches Gesetz (“Maschenregel”) besagt, dass sich alle Potentialdifferenzen in einem geschlossenen Leiterkreis (einer “Masche”) zu Null addieren müssen (so dass nach einem Umlauf wieder das gleiche Potential vorliegt). Wir können also schreiben:
\[ U_R(t) + U_C(t) = 0 \hspace{1.5cm} (1) \] Hier ist \(U_R(t)\) die (zeitabhängige) Spannung am Widerstand und \(U_C(t)\) die (zeitabhängige) Spannung am Kondensator. Der Ohmsche Widerstand der Leitungen wird hier vernachlässigt.
Wir benutzen außerdem das Ohmsche Gesetz:
\[ U_R(t) = R \cdot I(t) \hspace{1.5cm} (2) \] wobei \(R\) der Ohmsche Widerstand ist und \(I(t)\) der (zeitabhängige) Strom.
Der Zusammenhang zwischen Spannung \(U_C(t)\) und Ladung \(Q(t)\) am Kondensator ist
\[ U_C(t) = \frac{Q(t)}{C} \hspace{2cm} (3) \] wobei \(C\) die (konstante) Kapazität des Kondensators ist.
Mit den Gleichungen (2) und (3) wird Gleichung (1) zu
\[ R \cdot I(t) + \frac{Q(t)}{C} = 0 \] Ganz allgemein gilt außerdem für den Zusammenhang zwischen zeitlicher Änderung der Ladung und Strom:
\[ I(t) = \frac{dQ(t)}{dt} \] womit wir schließlich bekommen:
\[ R \cdot \frac{dQ(t)}{dt} + \frac{Q(t)}{C} = 0 \hspace{1.5cm} (4) \]
Dies ist eine homogene lineare Differentialgleichung 1. Ordnung für die Variable \(Q(t)\). Der Ohmsche Widerstand \(R\) und die Kapazität \(C\) des Kondensators werden als bekannt vorausgesetzt. Die Differentialgleichung kann mit einem Ansatzverfahren gelöst werden. Wir “raten”, dass die Lösung die folgende Form hat:
\[ Q(t) = Q_0 \cdot \exp{ \left( -\frac{t}{\tau} \right) } \] Hier ist \(Q_0\) die Anfangsladung am Kondensator bei \(t=0\) und \(\tau\) eine noch unbekannte Konstante, die wir jetzt durch Einsetzen dieses Ansatzes in Gl. (4) ermitteln werden:
\[ \begin{align*} R \cdot \frac{dQ(t)}{dt} + \frac{Q(t)}{C} &= 0 \\[6pt] - R \cdot \frac{Q_0}{\tau} \cdot \exp{\left( -\frac{t}{\tau} \right)} + \frac{Q_0}{C} \cdot \exp{\left( -\frac{t}{\tau} \right)} &= 0 \hspace{0.5cm} \Bigg| \hspace{0.5cm} \text{Kürzen}\\[6pt] \frac{- R}{\tau} + \frac{1}{C} &= 0 \\[6pt] \tau = R \cdot C \end{align*} \]
Damit ist die Lösung der Differentialgleichung:
\[ Q(t) = Q_0 \cdot \exp{ \left( -\frac{t}{R \cdot C} \right) } \hspace{1.5cm} (5) \] Dies ist die Gleichung für die zeitabhängige Ladung am Kondensator.
Einheiten:
Durch Ableiten von (5) erhalten wir auch den Strom im Leiterkreis:
\[ I(t) = \frac{dQ(t)}{dt} = -\frac{Q_0}{R \cdot C} \cdot \exp{ \left( -\frac{t}{R \cdot C} \right) } \] Damit wird der Anfangsstrom bei \(t=0\):
\[ I(0) = -\frac{Q_0}{R \cdot C} = -\frac{U_0 \cdot C}{R \cdot C} = -\frac{U_0}{R} \] wobei wir wieder \(Q_0 = U_0 \cdot C\) benutzt haben, siehe Aufgabenstellung oben.
Wird das Ohmsche Gesetz, Gl. (2), benutzt, bekommen wir daraus auch noch einen Ausdruck für die Spannung am Widerstand:
\[ U_R(t) = R \cdot I(t) = -\frac{Q_0}{C} \cdot \exp{ \left( -\frac{t}{R \cdot C} \right) } \]
Ein Kondensator mit \(C = 40 \; \mu F\) wird auf \(U_0 = 24 \;V\) aufgeladen und dann über einen Ohmschen Widerstand mit \(R = 200 \; \Omega\) entladen.
Teilaufgabe b): Berechne die Anfangsladung des Kondensators:
\[ Q_0 = U_0 \cdot C = 24 \; V \cdot 40 \; \mu F = 24 \; V \cdot 4 \cdot 10^{-5} \; C/V = 9.6 \cdot 10^{-4} \; C \]
Einheiten: Farad: \(F = C/V = As/V\)
Teilaufgabe c): Berechne den Anfangsstrom durch den Ohmschen Widerstand.
Wir benutzen die oben erhaltene Formel für den Anfangsstrom:
\[ I(0) = -\frac{U_0}{R} = -\frac{24 \; V}{200 \; \Omega} = -0.12 \; A \] Einheiten: Ohm: \(\Omega = V/A\)
Bemerkung: Das Vorzeichen bezieht sich auf die Richtung des Stroms und hängt vom Vorzeichen der Spanung ab.
Teilaufgabe d): Berechne die Ladung des Kondensators \(4 \; ms\) nach dem Schließen der Verbindung.
Wir benutzen Gleichung (5) (\(Q_0\) wurde bereits oben berechnet):
\[ \begin{align*} Q(t) &= Q_0 \cdot \exp{ \left( -\frac{t}{R \cdot C} \right) } \\[6pt] Q(4 \; ms) &= 9.6 \cdot 10^{-4} \; C \cdot \exp{ \left( -\frac{4 \cdot 10^{-3} \; s}{200 \; \Omega \cdot 4 \cdot 10^{-5} \; C/V} \right) } \\[6pt] Q(4 \; ms) &= 9.6 \cdot 10^{-4} \; C \cdot \exp{(-0.5) } = 5.823 \cdot 10^{-4} \; C \end{align*} \] Dies ist die Ladung auf dem Kondensator nach bei \(t = 4 \; ms\).
Einheiten: Farad \(F = C/V = As/V\) und Ohm \(\Omega = V/A\)
Q <- function(t, Q0, R, C) Q0 * exp(-t/(R*C)) # capacitor charge
Q0 = 9.6e-4 # Coulomb
R = 200 # Ohm
C = 4e-5 # Farad
Q(4e-3, Q0, R, C)
## [1] 0.0005822694
t = seq(0, 0.05, length = 201)
mtxt = "Capacitor charge"
plot(t, Q(t, Q0, R, C), type = "l", col = "red", lwd = 2, main = mtxt,
font.main = 1, xlab = "t / s", ylab = "Q(t) / C")
abline(v = 4e-3, col = "grey", lty = 2) # vertical line at t = 4 ms
abline(h = 5.823e-4, col = "grey", lty = 2) # horizontal line at Q = 5.823e-4 C
Eine Spule mit einer Selbstinduktivität von \(L = 5 \; mH\) und einem Widerstand von \(R = 15 \; \Omega\) wird mit einer Spannungsquelle \(U_0 = -12 \; V\) verbunden.
LR-Kreis
Bemerkung: Die Spule erfährt beim Einschalten (oder Ausschalten) eine sogenannte Selbstinduktion. Wenn sich der Stromfluss in der Spule ändert, entsteht in der Umgebung der Spule auch ein zeitlich veränderliches Magnetfeld. Dieses Magnetfeld bewirkt eine Induktionsspannung in der Spule, die nach der Lenzschen Regel der ursprünglichen Spannung entgegenwirkt. Dadurch wird der Einschaltvorgang (oder Ausschaltvorgang) verzögert, der Stromfluss wird also beim Einschalten verzögert zunehmen (und beim Ausschalten verzögert abnehmen).
Um den zeitlichen Verlauf des Stromes \(I(t)\) zu berechnen, können wir wiederum das 2. Kirchhoffsche Gesetz (“Maschenregel”) anwenden. Wir haben jetzt 3 Elemente im Leiterkreis, die eine Potentialdifferenz bewirken: die Spannungsquelle, die Spule und den Widerstand. Die Maschenregel lautet jetzt also
\[
U_R(t) + U_L(t) + U_0 = 0 \hspace{1.5cm} (6)
\]
Hier ist \(U_R(t)\) die (zeitabhängige) Spannung am Widerstand, \(U_L(t)\) ist die (zeitabhängige) Spannung an der Spule, und \(U_0\) ist die durch die Spannungsquelle erzeugte Spannung. Der Widerstand des Leiters wird wiederum vernachlässigt.
Wir benutzen wieder das Ohmsche Gesetz für den Widerstand:
\[ U_R(t) = R \cdot I(t) \hspace{1.5cm} (7) \] Für die Induktionsspannung an der Spule gilt:
\[ U_L(t) = L \cdot \frac{d I(t)}{dt} \hspace{1.5cm} (8) \]
Mit den Gleichungen (7) und (8) wird aus Gleichung (6):
\[ R \cdot I(t) + L \cdot \frac{d I(t)}{dt} + U_0 = 0 \hspace{1.5cm} (9) \] Dies ist eine inhomogene lineare Differentialgleichung 1. Ordnung für die Variable \(I(t)\). Der Ohmsche Widerstand \(R\) und die Induktivität \(L\) der Spule werden als bekannt vorausgesetzt, ebenso \(U_0\). \(U_0\) ist hier die Inhomogenität.
Die Lösung der Gleichung ist (siehe Anhang):
\[ I(t) = \frac{\mid U_0 \mid }{R} \cdot \Bigg[ 1 - \exp{ \left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} \Bigg] \hspace{1.5cm} (10) \] Dies ist die Formel für den zeitabhängigen Strom im LR-Kreis.
Bemerkung: Die Spannung an der Spanungsquelle ist negativ, so dass \(U_0 = - \mid U_0 \mid\).
Teilaufgabe a): Berechne die maximale Stromstärke.
Entsprechend Formel (10) wird die maximale Stromstärke für \(t \rightarrow \infty\) erreicht, denn dann ist \(\exp{ \left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} = 0\). Die maximale Stromstärke ist also
\[ I_{max} = \frac{\mid U_0 \mid}{R} \hspace{5.8cm} (11) \]
Die maximale Stromstärke ist damit:
\[ I_{max} = \frac{12 \; V}{15 \; \Omega} = 0.8 \; A \] Einheiten: Ohm: \(\Omega = V/A\)
Mit Gl. (11) können wir statt (10) auch schreiben:
\[ I(t) = I_{max} \cdot \Bigg[ 1 - \exp{ \left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} \Bigg] \hspace{1.5cm} (12) \]
Teilaufgabe b): Wie lange dauert es, bis die Stromstärke 99 % ihres Endwertes erreicht hat?
Wir setzen in Gl. (12) \(\; I(t) = 0.99 \cdot I_{max}\) und erhalten:
\[ \begin{align*} 0.99 \cdot I_{max} &= I_{max} \cdot \Bigg[ 1 - \exp{ \left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} \Bigg] \hspace{1cm} \Bigg| \hspace{0.5cm} \text{Kürzen} \\[6pt] 0.99 &= 1 - \exp{ \left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} \\[6pt] 0.01 &=\exp{ \left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} \hspace{0.5cm} \Bigg| \hspace{0.5cm} \ln(\cdot) \\[6pt] \ln{(0.01)} &= -\frac{R}{L} \cdot t \\[6pt] t &= -\frac{L}{R} \cdot \ln{(0.01)} \\[6pt] t &= -\frac{5 \cdot 10^{-3} \; H}{15 \; \Omega} \cdot \ln{(0.01)} = 1.535 \cdot 10^{-3} \; s = 1.535 \; ms \end{align*} \] Nach \(t = 1.535 \; ms\) werden 99 % der Maximalstromstärke erreicht.
Einheiten: Induktivität Henry: \(H = Vs/A = \Omega \; s\)
I <- function(t, U0, R, L) U0/R * (1 - exp(- R/L * t)) # current
U0 = 12 # Volt
R = 15 # Ohm
L = 5e-3 # Henry
Imax = U0/R
Imax
## [1] 0.8
round(I(1.535e-3, U0, R, L), 3) # current at t = 1.535e-3 seconds
## [1] 0.792
Imax*0.99 # 99 % of maximum current
## [1] 0.792
t = seq(0, 0.002, length = 201)
mtxt = "Current through circuit"
plot(t, I(t, U0, R, L), type = "l", col = "red", lwd = 2, main = mtxt,
font.main = 1, xlab = "t / s", ylab = "I(t) / A")
abline(v = 1.535e-3, col = "grey", lty = 2) # vertical line at t = 1.535 ms
abline(h = Imax*0.99, col = "grey", lty = 2) # horizontal line at 0.99 Imax
Wir lösen jetzt die Differentialgleichung (9):
\[ R \cdot I(t) + L \cdot \frac{d I(t)}{dt} + U_0 = 0 \hspace{1.5cm} (A1) \] Aufgrund des Terms \(U_0\) ist dies eine inhomogene lineare Differentialgleichung 1. Ordnung für die Variable \(I(t)\). Die Lösung der inhomogenen Gleichung ergibt sich ganz allgemein aus der Summe zweier Terme:
Die Lösung hat also die Form:
\[ I(t) = I_h(t) + I_s(t) \hspace{3cm} (A2) \]
Im ersten Schritt werden wir die homogene Gleichung durch ein Ansatzverfahren lösen, ganz ähnlich wie in Aufgabe 1. Im zweiten Schritt werden wir eine spezielle Lösung der inhomogenen Gleichung suchen, die sich aus der (Erfahrungs-)Tatsache ergibt, dass irgendwann ein stationärer Zustand für \(I(t)\) eintritt, also irgendwann \(dI/dt = 0\) ist.
Schritt 1: Wir suchen zunächst die Lösung \(I_h(t)\) der homogenen Gleichung. Diese lautet:
\[ R \cdot I_h(t) + L \cdot \frac{d I_h(t)}{dt} = 0 \hspace{1.5cm} (A3) \]
(Wir haben also die Inhomogenität \(U_0\) weggelassen.)
Gleichung (A3) kann wieder mit einem Ansatzverfahren gelöst werden. Wir “raten”, dass die Lösung für \(I_h(t)\) die folgende Form hat:
\[ I_h(t) = A \cdot \exp{\left( -\frac{t}{\tau} \right)} \]
Die noch unbekannte Konstante \(A\) werden wir später aus der Anfangsbedingung \(I(0) = 0\) ermitteln (es handelt sich ja um einen Einschaltvorgang, d.h. zur Zeit \(t=0\) ist der Strom Null).
Die ebenfalls unbekannte Konstante \(\tau\) werden wir jetzt durch Einsetzen des obigen Ansatzes in Gl. (A3) ermitteln.
\[ \begin{align*} R \cdot I_h(t) + L \cdot \frac{d I_h(t)}{dt} &= 0 \\[6pt] R \cdot A \cdot \exp{\left( -\frac{t}{\tau} \right)} - \frac{L}{\tau} \cdot A \cdot \exp{\left( -\frac{t}{\tau} \right)} &= 0 \hspace{1cm} \Bigg| \hspace{0.5cm} \text{Kürzen} \\[6pt] R - \frac{L}{\tau} &= 0 \\[6pt] \tau = \frac{L}{R} \end{align*} \]
Damit lautet die Lösung der homogenen Gleichung:
\[
I_h(t) = A \cdot \exp{\left( -\frac{R}{L} \cdot t
\right)} \hspace{1.5cm} (A4)
\]
Schritt 2: Wir suchen jetzt eine spezielle Lösung \(I_s(t)\) der inhomogenen Gleichung. Wir können die Tatsache ausnutzen, dass im stationären Zustand der Strom konstant ist, d.h. es ist dann
\[ \frac{dI}{dt} = 0 \]
Damit wird aus der inhomogenen Gleichung (A1) einfach
\[ R \cdot I_s + U_0 = 0 \] mit der Lösung:
\[ I_s = \frac{-U_0}{R} = \frac{\mid U_0 \mid}{R} \] (\(U_0\) ist negativ, daher \(-U_0 = \mid U_0 \mid\))
Die vollständige Lösung hat nun die Form:
\[ \begin{align*} I(t) &= I_h(t) + I_s(t) \\[6pt] I(t) &= A \cdot \exp{\left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} + \frac{\mid U_0 \mid}{R} \end{align*} \]
Wir müssen, wie bereits oben erwähnt, noch die Konstante \(A\) aus der Anfangsbedingung \(I(0) = 0\) ermitteln:
\[ \begin{align*} 0 &= I(0) \\[6pt] 0 &= A + \frac{\mid U_0 \mid}{R} \\[6pt] A &= - \frac{\mid U_0 \mid}{R} \end{align*} \]
Damit bekommen wir die Lösung:
\[ \begin{align*} I(t) &= A \cdot \exp{\left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} + \frac{\mid U_0 \mid}{R} \\[6pt] I(t) &= - \frac{\mid U_0 \mid}{R} \cdot \exp{\left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} + \frac{\mid U_0 \mid}{R} \\[6pt] I(t) &= \frac{\mid U_0 \mid}{R} \cdot \Bigg[ 1 - \exp{ \left( -\frac{R}{L} \cdot t \right)} \Bigg] \end{align*} \]
also Gleichung (10).